PHILIPPE ANHORN
Einleitung
Warum und wie kann eine Pflegepartnerschaft zwischen Patienten/innen und dem Pflegepersonal in einem regionalen Gesundheitssystem eingeführt werden? Wie in einem Business Ökosystem müssen alle Akteure die gleiche Sprache sprechen, die gleichen Werte und Praktiken haben, um ihr gemeinsames Ziel erreichen zu können. Durch meine Forschungen konnte ich Empfehlungen über die Art und Weise formulieren, wie diese Partnerschaft nicht nur im Pflegebereich, sondern auch in der Organisation der Leistungen und im Management des Systems eingeführt werden können.
Impakte und Hauptergebnisse der Forschungen
Bei der Auswertung meiner Ergebnisse haben sich vier Grundgedanken herauskristallisiert. 1. Die Pflegepartnerschaft ist im Kommen. Es geht nicht darum zu wissen, ob es angemessen ist, sie in unserem Gesundheitssystem einzuführen (etwa 90% der Akteure geben an, sie zu kennen und zu verwenden), sondern darum, ihre Verbreitung auf koordinierte Art und Weise zu begleiten, damit sie eine maximale Anzahl an positiven Auswirkungen sowohl auf die Funktionsweise des Systems, als auch auf die Gesundheit der Bevölkerung hat. 2. Die Einführung der Partnerschaft erfordert einen Aktionsplan. Auch wenn mehr als 90% des Pflegepersonals angeben, sie systematisch oder gelegentlich anzuwenden, bemerken dies nur weniger als 50% der Patienten/innen. Deshalb muss eine gemeinsame Sprache und Kultur verwendet sowie die Praktiken und Ressourcen geteilt werden (die Zeit, die einige Akteure in die Partnerschaft investieren, kann später anderen Akteuren des Systems von Nutzen sein). 3. Die Auswirkungen der Partnerschaft auf die Koordination des Gesundheitssystems sind vorhanden, aber nicht ausreichend. Sie wird, während sich inter-organisationelle Praktiken entwickeln, als ein Faktor der Behandlungskontinuität verstanden, aber strukturelle Hürden behindern ihre Verbreitung: das Fehlen von elektronischen Krankenakten, extreme Fragmentierung der Organisationen und Finanzierungen, fehlende beweiskräftige (evidenzbasierte) Forschung zum Thema vor Ort. 4. Der zeitliche Kontext ist günstig. Die COVID-19-Pandemie hat das Interesse an der Partnerschaft bei nahezu 60% der befragten Akteure verstärkt. In den nationalen Regulierungsrahmen (Bundesgesetz über die Krankenversicherung) wurden endlich die Qualität und die Koordination der Gesundheitsversorgung als ernstzunehmende Mittel zur Kosteneindämmung aufgenommen. Auf kantonaler Ebene erhalten Partnerschaftsprojekte immer größere politische Unterstützung. Und außerdem ist die Testphase von mehreren Projekten demnächst zu Ende. Ich konnte die auf meinem theoretischen Rahmen basierenden Ergebnisse in allgemeine Empfehlungen und in Empfehlungen mit Auswirkung auf die Managementpraxis umsetzen, wobei die letzteren für die Organisationen, in denen ich meine Forschungen durchgeführt habe, bestimmt sind.
Theoretische Forschungsgrundlagen
Zunächst wollte ich die Einführung von Pflegepartnerschaften aus der Sicht der Theorien über die Organisation des Wandels untersuchen (Van De Ven & Poole, 1995 / Kerber & Buono, 2005). Jedoch erschienen sie mir in einem Bereich, in dem Veränderungen eher graduell als radikal erfolgen, schwer zu operationalisieren. Nach einem Umweg über die Soziologie der Übersetzung (Callon & Latour, 1986) wollte ich einen „organischen“ Ansatz beibehalten, wobei ich gleichzeitig zu einem Rahmen zurückgekehrt bin, der besser an das Management angepasst ist, und ich habe den der Business Ökosysteme gewählt (Moore 1993, 1996). Er wendet sich günstig an die Entwicklung regionaler Gesundheitssysteme an, sobald er die Idee der ständigen Anpassung der Akteure mit dem Ziel der Koordination und (was mich betrifft gesellschaftlichen) Innovation in sich trägt. Er zählt die Herausforderungen auf, mit denen das Ökosystem während seines gesamten Lebenszyklus konfrontiert ist, und dies sowohl unter dem Gesichtpunkt der Kooperation als auch dem des Wettbewerbs. Auf dieser Basis konnte ich allgemeine Empfehlungen für die Einführung einer Pflegepartnerschaft in das Gesundheitssystem formulieren.
Methodologie
Ich habe einen epistemologisch-konstruktivistisch-pragmatischen Standpunkt eingekommen und gemischte Methoden verwendet (Creswell und Plano Clark, 2018). Die Hauptausrichtung war qualitativ: eine Forschung-Intervention über die Einführung eines Projekts der vorausschauenden Behandlungsplanung in meiner Organisation (Coghlan & Brydon-Miller, 2014 / Savall & Zardet, 1987, 2015) hat es mir ermöglicht, ungefähr zehn klinische Situationen zu verfolgen und die Gespräche mit den Patienten, ihren Angehörigen, dem Pflegepersonal und den Verantwortlichen der betreffenden Einrichtungen zu organisieren. Ich konnte diese Forschungsarbeit mit Hilfe von zwei Umfragen mit Fragebögen kontextualisieren, die mit einem Jahr Abstand unter den Akteuren des Gesundheitsnetzwerks durchgeführt und von explorativen und/oder explikativen Gesprächen gekennzeichnet waren. Es wurden insgesamt 619 individuelle Beiträge von 504 Pflegekräften und 115 Patienten/innen gesammelt. Die quantitativen Daten wurden mit der Software Sphinx Déclic verwaltet und statistisch analysiert, wohingegen die qualitativen Daten (Aufzeichnungen und Transkriptionen der Interviews mit RedCap) lexikalen Analysen unterworfen wurden, indem die Verbatims entweder nach Grundgedanken oder nach Metadaten (Tags) gruppiert wurden.
Zur Vertiefung
- „Le partenariat de soins : une évidence écosystémique“ (Doktorarbeit von Philippe Anhorn, 2021)
- „Quand patients, proches et soignants sont partenaires“ (populärwissenschaftlicher Artikel in der Online-Zeitschrift Reiso, von Anhorn, P., Chinet, M., Nicolas, F., Devaux, L., Reber, R., 2020)
- „Le Montreal model : enjeux du partenariat relationnel entre patients et professionnels de la santé“ (Artikel von Marie-Pascale Pomey et al. in Santé Publique, 2015)
- „The death of competition: leadership and strategy in the age of business ecosystems“ (Buch von James F. Moore, 1. Auflage, Verlag HarperBusiness, New York, 2006)
Die Meinung der Professoren
Ich beglückwünsche Philippe Anhorn erneut für diese hervorragend ausgeführte, pädagogische und gründliche Doktorarbeit, die voller zahlreicher und hochqualitativer Ergebnisse ist. Sein Weg zeigt, dass es sogar unter schwierigen Bedingungen möglich ist, berufliche Pflichten zu erfüllen und gleichzeitig seinen DBA zu machen. (Prof. Zardet, Betreuerin der Doktorarbeit)
Die Doktorarbeit basiert auf einer wahrhaftig gründlichen wissenschaftlichen Beobachtung im Rahmen einer komplexen Problematik mit sehr vielen Variablen und fluktuierenden Daten. Aus diesem Blickwinkel heraus erlaubt der Beginn der Forschung-Intervention die Konstruktion eines stichhaltigen Wissensbestands. (Prof. Bonnet, Berichterstatter)